Trauer in der Ferne – ein Teil von dir ist auch hier bei mir

Anonym, 56 Jahre

Schon vor ihrem Tod hatte meine Frau immer wieder gesagt, dass sie in ihrer Heimat Mardin in der Osttürkei beerdigt werden wolle. Obwohl ich in den ganzen 28 Jahren unserer Ehe selbst kaum Kontakt zur Familie meiner Frau hatte, war mir klar, dass ich ihr diesen letzten Wunsch erfülle. Und so wurde sie schließlich in ihrem Heimatdorf beerdigt. Wegen der Corona-Pandemie konnte ich jedoch nur für einen Tag in die Türkei fliegen, und zwar, um der christlichen Bestattung meiner Frau beizuwohnen. Danach hatte ich bisher keine Möglichkeit, ihr Grab noch einmal zu besuchen.

In Deutschland wieder angekommen war ich sehr traurig. Manche Dinge in der Wohnung konnte ich weder wegwerfen, z. B. ihre Brille, noch konnte ich es ertragen, jeden Tag an sie erinnert zu werden, wenn ich ihre Sachen sah. So ging es mir auch mit ihrem Auto. Mehrere Monate stand es in der Garage und ich konnte mich einfach nicht hineinsetzen. Eines Tages beschloss ich dann, das alte kleine Auto meiner Frau zu verkaufen und machte, bevor ich es abgeben musste, noch eine kleine Abschiedsfahrt.

Es war ein schöner Sonnentag und während ich ziellos durch die Stadt fuhr, fiel mir plötzlich ein im Licht hell leuchtendes Haar auf, dass sich in der Lüftungsöffnung des Autos verfangen hatte. Ein Haar meiner Frau. Ich fuhr an den Straßenrand und begann zu weinen, so nahe fühlte ich mich ihr plötzlich wieder. Ein Teil von ihr, ein Haar, war bei mir geblieben, tauchte nun plötzlich wieder auf, hier im Auto, und es kam mir vor, als wäre sie nur eben einmal ausgestiegen, um schnell in einem Geschäft etwas einzukaufen und käme jeden Augenblick wieder.

Vorsichtig habe ich das Haar meiner Frau aus dem Lüftungsschlitz geborgen und in ein Tütchen gepackt. Zuhause habe ich es in ein schönes Kästchen gelegt und bin dann zu unserer Lieblingsstelle im Park in der Nähe unserer Wohnung gegangen. Neben der Bank, auf der wir immer gesessen hatten und die Menschen und Vögelchen im Park beobachtet hatten, auch als sie schon sehr krank gewesen war, habe ich das Kästchen mit ihrem Haar vergraben. Ich habe einen schönen Stein gefunden und an die Stelle gelegt. Nun gehe ich jeden Tag zu der Bank und es fühlt sich gut an, in der Nähe meiner Frau zu sein und wie früher auf unserer Bank zu sitzen.